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Die nationalsozialistisch orientierten Front-Organisationen in der Schweiz 1930-1957

3. Antiliberale Propaganda - Bestrebungen für eine "Autoritäre Demokratie" und für einen schweizer "Führerstaat" 1933-1934

Antiliberale Propaganda - Reaktionen auf die Hetze gegen die Demokratie - die Vorstellungen für eine "Autoritäre Demokratie" und einen schweizer "Führerstaat"

von Michael Palomino (1998 / 2005 / 2010)

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aus: Walter Wolf: Faschismus in der Schweiz. Die Geschichte der Frontenbewegung in der deutschen Schweiz 1930-1945. Flamberg-Verlag Zürich 1969.


Nach dem "Frontenfrühling" gab es nun rechtsradikale Ströhmungen in der Schweiz, die eine "Autoritäre Demokratie" und einen schweizer "Führerstaat" verwirklichen wollten:


Antiliberale Propaganda der "Nationalen Front" 1933-1934
(S.166-171)

Die "Nationale Front"
-- wandte sich gegen skrupellose Geld- und Profitwirtschaft
-- propagierte die "Überwindung" des Kapitalismus
-- wandte sich gegen Menschheits- und Gerechtigkeitsideale
-- propagierte die Einseitigkeit und die Intoleranz
-- die "Nationale Front" behauptete, Menschenwürde, Menschenrechte und Freiheit seien ein Unsegen (in: "Front" vom 7.11.1933)
-- propagierte die "grosse Idee" göttlicher und menschlicher Verbundenheit (in: "Front", 3.4.1934).

Der Tenor war: Der Liberalismus würde sich der "neuen Zeit" und der "Erneuerung" entgegenstellen.

Antiliberale Propaganda der Katholischen Volkspartei (KVP)

Das Logo der Katholischen
                Volkspartei (KVP) Schweiz

Ebenso politisierte die schweizerische Katholische Volkspartei: Das liberalistische System von 1848 [mit der Verfassung, mit der Einführung von Volksabstimmungen, und später mit der Einführung der Börse und der Spekulation] sei ein überflüssiger Luxus (in: "Ostschweiz", 4.4.1933). Es wurde prophezeit, die Radikaldemokratie werde untergehen wie die Sozialdemokratie (in: National-Zeitung, 3.11.1933).

Josef Ebner
von der Katholischen Volkspartei behauptete, Nationalsozialismus, Faschismus und Frontismus seien die Gegenrevolution zur grossen französischen Revolution (in: Schaffhauser Zeitung, 26.7.1933).

[Die Verursacher der grossen Wirtschaftkrise und der Arbeitslosigkeit, die reichen Manager, die nichts taten, wurden nie genannt, sondern diese Manager freuten sich darauf, dass die Demokratie zumindest in Deutschland bereits am Ende war...]


Reaktionen auf die Hetze von Rechts gegen die Demokratie

Die Sozialistische Partei der Schweiz (SPS) hielt am 24./25.2.1934 ihren Parteitag ab. Robert Grimm (Sozialdemokrat und führende Persönlichkeit des Landesstreiks von 1918 [1]) bezog klar Stellung gegen die antidemokratischen Frontisten und Katholen:

Robert Grimm, Portrait
Robert Grimm, Portrait [2]

Die Sozialdemokratie verwarf zwar den Liberalismus in Sachen Wirtschaft, befürwortete aber den Liberalismus in Sachen Staat und Politik, denn Hitler hatte die Sozialdemokratie in Deutschland vernichtet. Die Sozialdemokratie musste in der Schweiz verteidigt werden, mit Presse- und Versammlungsfreiheit. Nur so konnte der Faschismus an der Machtübernahme behindert werden (in: "Rote Revue", Januar 1935). Die schweizer Sozialdemokraten erklärten sich deswegen mit der Zusammenarbeit mit den Liberalen bereit.

Die Jungliberalen glaubten zeitweise, der Liberalismus sei überholt. Innerhalb des Freisinns kam es zu Richtungsstreitigkeiten. Das Ideal der "Freiheit" wurde hochgehalten (S. 166-171).

Konrad Falke (schweizer Schriftsteller und Dichter, Sohn eines Bankdirektors [2], der in der Schweiz für die Zeitschrift "Mass und Wert" auch mit Thomas Mann zusammenarbeitete [3]) kritisierte die nazistischen Frontisten, die die menschlichen Grundwerte in den Schmutz zögen (siehe NZZ vom 4.3.1934):

<Ihr seid wohl die ersten auf helvetischem Boden, die sich herausnahmen, die Begriffe Menschenwürde, Menschenrechte, Freiheit "Zauberspiegelworte" zu nennen und feierlich zu erklären: 'Unter dem Banner dieser Ideen streiten wir nicht'; und ihr habt offenbar keine Ahnung, dass es, nachdem diese Worte einmal gefallen sind, nur noch zwei Möglichkeiten geben kann: Entweder ihr erledigt die Schweizerische Eidgenossenschaft, oder aber die Schweizerische Eidgenossenschaft erledigt euch.> (S.172)


Die Vorstellung der schweizerischen Rechtsradikalen über eine der "Autoritäre Demokratie" und einen schweizerischen "Führerstaat"
(S.179-183)

Die rechtsradikalen Bewegungen und Parteien in der Schweiz (Frontisten und Katholiken) hatten nach dem weltweiten Börsencrash von 1929 und der durch die Arbeitgeber extra provozierten hohen Arbeitslosigkeit klare Vorstellungen, wie man die Schweiz "effizienter" gestalten könne: mit einer "Autoritären Demokratie" und einem schweizerischen "Führerstaat":

Die Struktur der "Autoritären Demokratie" und eines schweizerischen "Führerstaats"

-- Konzentration der Volksentscheide auf das oberste Staatsorgan und auf Verfassungsfragen
-- an die sichtbare Spitze gewählt ist ein auf mehrere Jahre gewählter Landammann
-- Ablehnung der Gewaltentrennung
-- Ernennen der Fachminister / Bundesräte durch den Landammann
-- dies hätte ein Wegfallen taktischer oder referendumspolitischer Hindernisse zur Folge
-- Einführung eines Abberufungsrecht des Landammanns durch das Volk bei hohem Quorum (Verpflichtung zu einer hohen Stimmbeteiligung)
-- es gelte ein "opferfreudiges Dienen ... für den Führer", dies stehe "viel näher bei der wirklichen Freiheit als das dünkelhafte Souverän-Tun vieler Kleinbürger"
-- es gelte die Parole: "Autorität statt Majorität".

Die Methoden zur Verwirklichung eines schweizerischen "Führerstaates"

Das Vorgehen zur Verwirklichung der "Autoritären Demokratie" und eines schweizerischen "Führerstaats" sei das folgende:

-- Antrag auf Totalrevision der Bundesverfassung stellen (1934)
-- auswechseln der Leute: Ein neues System verlange neue Menschen: aus der "Nationalen Front"
-- man müsse eine Volksmehrheit schaffen
-- es sei ein Kampf um die Macht: Die Alleinherrschaft der "Nationalen Front" sei absehbar

-- die "Nationale Front" müsse Partei werden, um sich mit den anderen Parteien konfrontieren zu können, würde dann Partei in ihrer Organisation, ohne sich aber Partei zu nennen, denn sie wolle eine volksumfassende Bewegung bleiben für das ganze Volk

-- alle anderen Parteien, die sich nicht zum schweizerischen Volk bekennen, sollten bis zur Vernichtung bekämpft werden, v.a. Liberalismus und Marxismus, auch alle Wirtschaftsparteien

-- das Vorbild sei Deutschland: Hitler habe gezeigt, wie man Parteien unschädlich macht

-- Parolen:

oo  "Fort mit den Parteien" wie in Deutschland
oo  "Die Vernichtung der Parteien ist notwendig, damit das Volk leben kann"
oo  "Sie sind das Krebsübel, das am Mark unseres Volkes zehrt"
oo  "Le régime des partis, ... c'est le tripot" ["Das Parteienregime... ist eine Spielhölle"].


Ziel sei die "Zertrümmerung" des Parteienstaates, der durch einen gleichgeschalteten Einparteienstaat ersetzt werden müsse.

Das Parlament sei eine "Schwatzbude" und solle durch den autoritären Staat ersetzt werden, der im allgemeinen Staatsinteresse entscheidet ohne anorganisches und unverantwortliches Parlament.

Gesetze sollten durch Kommissionen erlassen werden, die vom Landammann ernannt seien. Wirtschaftliche Aufgaben seien an Korporationen zu delegieren. Das Parlament solle nur noch konsultative Zwecke erfüllen.

Das Aktivbürgerrecht
Gemäss der "Nationalen Front" sollten nicht alle Bürger das Aktivbürgerrecht erhalten. Ausgeschlossen sollten sein: unpolitische Leute, unsachverständige Leute, unfähige Leute, Einzelgänger, Kritiker, Juden (S.179-183).

Reaktionen
Einige Programmpunkte fanden bei anderen Parteien Anklang:
-- die Forderung nach Stärkung der Zentralgewalt
-- der demokratische Staat müsse handlungsfähig sein und es solle an die Disziplin appelliert werden
-- die Regierung müse einen Ausgleich schaffen zwischen den Interessen
-- Inkompetenzen sollten vermieden werden.

Dabei ergaben sich aber gleich wieder Widersprüche:
-- echte Autorität liege nicht in einer weltlich-immanenten Führungsidee, so Hugo Dürrenmatt
-- es dürfe keine kritiklose Unterordnung und keinen blinden Glauben an einen Führer geben, das sei weit vom Geist des Christentums entfernt
-- kollektive Führung sei besser für die Schweiz, wegen der Mehrsprachigkeit, Einseitigkeit werde es nie geben in der Schweiz
-- auf die Gleichheit der Bürger sei zu achten: Jede Stimme sollte gleich zählen, aber jeder habe auch sein Wort, das gewogen werde
-- ohne Parteien sei keine Demokratie möglich
-- die Demokratie zu vernichten sei der falsche Weg (S.189-190).

Der Katholik Carl Doka (Kulturpolitiker und Journalist [4]) von der Katholischen Volkspartei Schaffhausen meinte:

Das Logo der Katholischen
                Volkspartei (KVP) Schweiz

-- alle Macht solle dem Christentum übertragen werden
-- nur Christen könnten Macht verkörpern und nur Christen dürften wählbar sein
-- Liberalismus und Sozialismus sei alles in einem abzulehnen [vor allem, weil bei den Sozis immer noch die "Diktatur des Proletariats" im Programm stand].

Aber 6 Monate später vor der Abstimmung über die Revision der Bundesverfassung 1934 bekannte sich dann Doka wieder zum Mehrparteiensystem, denn wer sich als Partei bezeichnete, setzte auch eine andere Partei voraus.

Generell trage jeder Bürger zur Parteienexistenz seine Verantwortung. Dies sei eine Erziehungsfrage zum Verstandesbewusstsein, sei ein Geschenk und eine Verpflichtung zugleich. Aber die "Nationale Front" stellte sich dieser Erziehungsfrage nicht (S.192-193).

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Quellen
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Grimm
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Konrad_Falke
[3] http://www.antiquariat-schlick.ch/galerie/gal_mann.php
[4] www.aag-schweiz.ch/images/1_FT_05_Lochbrunner_2005-02-18.doc

Fotoquellen
[1] Logo der Katholischen Volkspartei (KVP) Schweiz: http://www.kvp.ch/
[2] Robert Grimm, Portrait: http://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Grimm;
http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Robert.grimm.jpg&filetimestamp=20061205185407


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